Ben: Offenkundig homosexuell und offenkundig glaubenstreu
Ben: Offenkundig homosexuell und offenkundig glaubenstreu
Glaube ist nicht blind: Ich bin heute hier mit Ben. Willkommen.
Ben: Ich bin froh hier zu sein.
Glaube ist nicht blind: Danke, dass Sie gekommen sind. Würden Sie sich bitte kurz vorstellen.
Ben: Ich wurde in die Kirche geboren und bin in ihr aufgewachsen. Beide Elternteile sind Bekehrte aus dem Raum Seattle. Sie schlossen sich der Kirche auf den Tag genau ein Jahr nach ihrer Heirat an. Und sie haben oft darüber diskutiert, wer denn nun zuerst getauft worden ist, aber wir sind uns ziemlich sicher, dass es meine Mutter war. Ich bin das jüngste von vier Kindern. Glücklich, aktiv, in der Kirche aufgewachsen. Mit 19 erfüllte ich eine Mission in Chihuahua, Mexiko. Ich habe drei Abschlüsse von der BYU—ich nenne sie meine drei Grade der Herrlichkeit. Ich habe einen Doktortitel von der Universität Arizona. Vor kurzem bin ich Therapeut geworden mit einem Abschluss in Sozialarbeit.
Glaube ist nicht blind: Sie erwähnten die Bekehrung Ihrer Eltern; erzählen Sie uns doch über Ihre eigene Bekehrung zur Kirche. Ich weiß, dass Sie in eine Mitgliederfamilie geboren wurden. Doch wie hat Ihre Bekehrung stattgefunden?
Ben: Wenn man in der Kirche aufwächst, geschieht das einfach so. Man geht zur Kirche, liest in den Schriften—das macht man einfach so. Bei einer Jugendkonferenz hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, dass die Kirche wahr ist. Ich war vierzehn. Ich hatte ein tolles Wochenende und dann hatten wir eine Zeugnisversammlung mit meiner Altersgruppe. Ich erinnere mich daran, Gleichaltrigen bei ihrem Zeugnis über den Erretter zuzuhören, und das fühlte sich an, wie in eine warme Decke eingehüllt zu sein. Es fühlte sich beinahe so an, als ob Gott wirklich anwesend war. Ich wusste einfach, dass es wahr war. Und als wir an dem Tag das Gebäude verließen und über den Platz gingen, dachte ich bei mir: „Wie kann ich je wieder Videospiele spielen oder fernsehen?“ Gott lebt, es gibt ihn wirklich und dies war seine Kirche.
Glaube ist nicht blind: Hat diese Erfahrung Sie bis zu Ihrer Mission in Mexiko getragen?
Ben: Ich war so begeistert, eine Mission erfüllen zu dürfen. Ich wollte in Mexiko jemanden wie meine Eltern finden. Das Evangelium bedeutete mir so viel, und das wollte ich mit anderen teilen.
Glaube ist nicht blind: Sie wollten Ihre Freude, die Sie bei einer Jugendkonferenz erlebt hatten, mit anderen teilen. Das hört sich toll an.
Ben: Genau!
Glaube ist nicht blind: Auf unserem Weg als Jünger tauchen oft Schwierigkeiten auf. Was war für Sie eine komplexe Erfahrung, mit der Sie in Ihrem Leben fertig werden mussten?
Ben: Die größte Herausforderung war meine Sexualität. In der 6. Klasse wurde mir klar, dass ich homosexuell war; zum ersten Mal wurde mir klar, dass in mich zu anderen Jungen hingezogen fühlte. Und das war in den Neunzigerjahren, als so etwas in unserer Gesellschaft noch nicht akzeptiert wurde. Also wollte ich nicht homosexuell sein und war es nicht und hasste es, solche Gefühle zu haben. Doch bekümmerten sie mich nicht sehr, da ich auf Mission gehen wollte, und das würde bei mir alles in Ordnung bringen.
Leute sprachen davon, eine Abmachung mit Gott zu treffen und er würde das bei mir dann in Ordnung bringen, aber ich dachte, ich brauche das einfach nicht. Ich dachte, Gott würde das bei mir schon in Ordnung bringen. Und erst nach meiner Mission, als ich 21 war, bezeichnete ich mich das erste Mal als homosexuell. Ich war damals seit drei Tagen wieder zu Hause und schaute im Fitnessraum meiner Eltern eine TV-Show mit einem gut aussehenden Mann an. Und ich kann mich daran erinnern, mich von ihm angezogen zu fühlen, und mir wurde klar, dass diese Gefühle immer noch da waren, und ich dachte: „Meine Güte. Es hat nicht funktioniert.“ Ich erinnere mich daran, an jenem Tag gebetet zu haben und zum ersten Mal zu sagen: „Vater im Himmel, ich glaube, ich bin homosexuell, und ich will nicht so sein.“ Und damit begannen zwei Jahre meines Lebens, in denen ich jeden Tag sehr, sehr gewissenhaft in den Tempel ging und regelmäßig darum betete und fastete, dass diese Gefühle mich verlassen würden.
Glaube ist nicht blind: Wissen Sie, wenn man seit drei Tagen von Mission zu Hause ist und dann diese Erfahrung am Fernseher macht—ich kann mir nicht vorstellen, wie sich das anfühlen muss. Denn man denkt ja: „Ich habe alles getan. Ich habe meine Mission erfüllt, nun sollte alles doch eigentlich so sein, wie ich mir das wünsche.“ Und dann wird einem bewusst, dass es nicht so ist. Was haben Sie in dem Moment gefühlt? Ich könnte mir vorstellen, dass Sie sich betrogen gefühlt haben?
Ben: Ja, aber das Wort „betrogen“ mag zu stark sein, um meine Gefühle zu beschreiben. Vielleicht einfach enttäuscht. Aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass meine Gefühle der gleichgeschlechtlichen Anziehung sich nicht ändern würden. Ich wusste, dass sie weggehen würden. Ich musste nur sicherstellen, dass ich das Richtige tat, so dass sie weggehen würden. Ich versuchte wie Nephi zu sein, der sagte: „Wenn ich hingehe und tue, wird Gott den Weg bereiten.“ Also gab ich mein Allerbestes, um geradlinig (hetero) zu sein.
Es gab einige Semester für mich an der BYU, während derer ich mich entschied, jede Woche mit einer anderen Frau auszugehen. Ich war auf 27 Blind Dates immer mit einer anderen mir Unbekannten und bin wohl mit etwa hundert eindrucksvollen Frauen aus gewesen. Ich habe tausende Dollar ausgegeben und viele hundert Stunden versucht zu heiraten. Nachdem ich also schon zwei Jahre zu Hause war und wie verrückt ausgegangen bin und gebetet und gefastet habe und in den Tempel gegangen bin und Heimlehren war (wie man es damals nannte)—wissen Sie, hat all das nichts geändert. Und mir wurde bewusst, das würde nicht weggehen.
Und da begann ich schließlich darüber nachzudenken, wie ich als homosexuelle Person mein Leben gestalten würde. Für mich war der einzige Lebensweg, den ich mir vorstellen konnte, der als heterosexueller Mann. Ich dachte: „So wird es ein.“ Es gibt also einen Punkt, an dem man erkennt: „Okay, das geht nicht weg.“ Ich muss jetzt lernen, wie ich weiterleben will. Ich hab immer noch das Zeugnis, das ich meiner Meinung nach seit meiner Jugend hatte und genährt habe—und doch muss ich lernen, wie ich als homosexuelle Person damit umgehe. Wie geht es jetzt weiter?
Damals hasste ich meine Sexualität sehr. Ich fühlte so viel Scham. Dann wurde ein Interview veröffentlicht, das Elder Oaks und Elder Wickman gegeben hatten. Ich verschlang deren Worte. Ich meine, sie sagten, dass es im künftigen Leben keine gleichgeschlechtliche Anziehung geben werde. Und ich dachte bei mir: „Ich möchte diese Gefühle so sehr loswerden, dass ich wünschte, ich könnte sterben. Ich war nie lebensmüde, aber es gab Zeiten, in denen ich mir vorstellte, wie toll es wäre, Krebs zu haben. Dann könnte ich als Held sterben und müsste mich damit nicht mehr auseinander setzen. Das war eine dunkle Zeit für mich—sehr dunkel.
Und als ich etwa zwei Jahre zurück war, besuchte mich spontan einer meiner Freundinnen aus der Gemeinde und verkündete allen Anwesenden, dass einer ihrer Freunde sich beim Abendessen ihr gegenüber geoutet hatte. Nun war mir bisher nie in den Sinn gekommen, dass es andere homosexuelle Studenten an der BYU geben könne. Ich hatte gedacht, ich sei der einzige. Und dann musste ich einen Weg finden, von ihr mehr darüber zu erfahren, denn das interessierte mich, aber nicht so nachdrücklich, dass sie mich für homosexuell halten könnte.
Ich fand heraus, dass es an der BYU homosexuelle Studenten gab, die anonyme Blogs über ihre Erfahrungen schrieben. Sobald sie das Apartment verlassen hatte, fand ich etwa ein Dutzend. Und es tat gut, von anderen zu hören, die durch gleiche Erfahrungen gingen. Es tat so gut zu wissen, dass ich nicht alleine war. Undin den meisten Blogs stand: „Ich bin in der Kirche und werde dort bleiben. Ich werde glaubenstreu sein.“ Doch letztendlich verließen die allermeisten die Kirche. Und ich fragte mich, ob meine Geschichte auch so enden würde, ob das auch mir so ergehen würde. Ich hatte wirklich Angst. Ich dachte: „Wenn ich in der Kirche verbleibe, werde ich für den Rest meines Lebens einsam und traurig sein. Wenn ich die Kirche verlasse, wenn ich einen gleichgeschlechtlichen Partner habe, muss ich die Lehren des Evangeliums, die ich so sehr liebe, aufgeben. Beide Möglichkeiten schienen praktisch einfach zu schwierig.
Glaube ist nicht blind: Das ist unglaublich, nur dieses Bild. Da ist diese Weggabelung und man fühlt, entweder die eine oder die andere Richtung wählen zu müssen. Und beide Wege versprechen eine gewisse Erfüllung, aber man muss bei beiden etwas aufgeben—etwas, was man liebt. Wie haben Sie sich also bei dieser Weggabelung entschieden?
Ben: Eines Abends, während ich im Gras lag, ließ ich meine Gedanken umherschweifen und sagte meinem Vater im Himmel, wenn es sein Wille sei, dass ich für die nächsten 60 Jahre einsam und traurig sein soll, würde ich das tun, um ihm zu zeigen, dass ich glaubenstreu sein kann. Als ich mich erhob, fühlte ich mich nicht besser, holte mir eilig meine Schriften und öffnete sie willkürlich bei Alma 40 Vers 8. Da gibt es eine Zeile, die lautet: „Zeit ist nur den Menschen zugemessen“, und ich dachte bei mir: „Gerade hab ich Gott gesagt, dass ich das tun könne. Ich glaube, ich werde wirklich 60 Jahre lang einsam und traurig sein.“ Und ich dachte, das sei meine Antwort. Ich würde den Rest meines Lebens unglücklich sein und dann würde ich sterben und könnte glücklich sein.
Und dann kam ich an den Punkt, wo ich es einfach nicht mehr alleine schaffen konnte. Eines Tages rief mein bester Freund von der High School mich an und lud mich zu einem Spaziergang ein. So etwas hatten wir noch nie getan. Und ich fragte meinen Mitbewohner Craig, der damals mein allerbester Freund war, ob er mit auf den Spaziergang kommen würde. Er stimmte zu.
Wir spazieren also durch den Kiwanis-Park im Osten Provos, und da wusste ich einfach, dass ich ihnen das sagen muss. Ich wurde so nervös, dass ich dachte, ich müsste mich gleich übergeben. Mir war schlecht bei dem Gedanken, diese schreckliche Sache sagen zu müssen.
Schließlich brachte ich den Mut auf und sie schlugen vor, dass wir uns ins Gras setzen sollten. Ich sagte ihnen, dass ich schon solange, wie ich denken kann, mich mehr zu Männern hingezogen fühle als zu Frauen (denn das war leichter zu akzeptieren als „Ich bin homosexuell“). Beide reagierten mit Liebe und Freundlichkeit. Ich sagte zu Craig: „ Ich würde es verstehen, wenn du nicht mehr mit mir zusammen wohnen willst.“ Er erwiderte: „Warum soll ich nicht mehr mit dir zusammen wohnen wollen? Du bist immer noch derselbe Mensch wie zuvor.“ Es war heilend zu wissen, dass wenn Menschen das über mich wüssten, was mir so schrecklich und krass und schlimm vorkam, sie mich genauso behandeln würden wie zuvor.
Glaube ist nicht blind: Das war also der Moment mit Ihrem Mitbewohner. Wie war es mit der Familie und anderen? Wie verliefen die Gespräche mit anderen Menschen?
Ben: Ich habe mich vor hunderten Menschen geoutet, auch in meinem Blog. Wer also zwei Dinge über mich weiß, dem ist klar, dass ich ein Heiliger der Letzten Tage bin und dass ich homosexuell bin. Fast immer war das eine positive Erfahrung. Fast immer wendet sich das Gespräch zu meinem Zeugnis vom Erretter und der Wiederherstellung; und deswegen habe ich erkannt, dass meine Sexualität ein wichtiges Mittel wird, durch das ich mein Zeugnis mitteilen kann. Auf diese Weise wurde daraus eine wunderbare Erfahrung für mich.
Am schwierigsten ist es, sich jemandem gegenüber zu outen, der nicht mehr aktiv in der Kirche ist oder gar kein Mitglied ist. Die meisten in meiner Familie sind nicht Mitglieder der Kirche und verstehen das nicht: „Sei doch einfach homosexuell!“ Also muss ich einem Teil meiner Mitmenschen erklären, wieso es in Ordnung ist, dass ich homosexuell bin, und dem anderen Teil muss ich erklären, dass es in Ordnung ist, ein Heiliger der Letzten Tage zu sein.
Glaube ist nicht blind: Das ist also die Spannung, dass Sie homosexuell sind und dass Sie dieses Zeugnis haben—diese Spannung besteht noch. Mich interessiert, wie es in Ihrem Leben weitergegangen ist. Wie hat Ihre Familie reagiert—die nahen Familienmitglieder und die anderen Verwandten?
Ben: Im Sommer 2007 habe ich mich meinen beiden besten Freunden gegenüber geoutet; meinen Eltern erzählte ich es an Thanksgiving. Ich hatte keinen Zweifel, dass sie mich lieben und ich ihnen wichtig bleiben würde. Ich hätte mit Tattoos und einem Bier in der Hand und einem Ehemann heimkommen können und sie hätten mich einfach willkommen geheißen.
Und sie reagierten genauso, wie ich es erwartet hatte. Sie waren so liebevoll und freundlich und meine Mutter sagte einfach, dass sie mich liebt. Sie fragte mich, ob es eine Phase sei; ich antwortete, dass ich darauf hoffte. Mein Vater sagte: „Na ja, allein zu bleiben, ist wahrscheinlich besser. Verheiratet zu sein ist schwer.“ Typisch mein Vater.
Meine Eltern wollten, dass ich zu arbeiten beginne, um das zu überwinden. Das wollte ich auch. Etwa einmal im Jahr fragte mein Vater gewöhnlich: „Na, wie steht’s mit der gleichgeschlechtlichen Anziehung?“ Und ich antwortete: „Gut.“ Und meine Mutter sagte: „Wir lieben Dich.“ Und mehr war nicht. Sie wollten darüber sprechen; ich wollte das nicht.
Und als ich dann 30 war, also vor 5 Jahren, war ich mir nicht sicher, in der Kirche bleiben zu können. Ich fühlte mich wie in einer Falle. Ich konnte einfach nicht mehr. Ich erzählte meinen Eltern alles—30 Jahre Erfahrung. Und meine Mutter—eine der glaubenstreuesten Frauen, die man finden kann—sagte zu mir: „Ben, falls Du die Kirche verlassen und einen Mann heiraten musst, wirst Du und er immer Teil unserer Familie sein.
Und indem sie meine Entscheidungsfreiheit anerkannte und mir sagte, ich würde immer ihr Sohn sein, gab das mir die Freiheit zu entscheiden, ob ich gehen oder dabei bleiben sollte. Vorher fühlte ich mich gefangen—ich hatte das Gefühl, bleiben zu müssen. Als ich das aber für mich selbst ergründen und meinen Willen mit Gottes Willen in Einklang bringen konnte, wandte ich mich Christus zu und dann fühlte ich mich seiner Kirche zugewandt. Interessanterweise hatte ich das gleiche Gespräch mit meinen Geschwistern. Und sie sagten: „Falls Du die Kirche verlässt, wirst Du immer bei uns willkommen sein.“ Und das tat mir richtig gut, denn viele Menschen erleben eine andere Reaktion.
Glaube ist nicht blind: Ich möchte Ihnen über diesen Prozess einige Fragen stellen, über Ihre Erfahrung. Wenn Sie auf Ihr Leben zurückschauen, welchen Rat würden Sie einem Heiligen der Letzten Tage geben, der mit gleichgeschlechtlicher Anziehung kämpft?
Ben: Ihre Werte und ihr Verhalten müssen im Einklang sein. Wenn man bestimmte Werte hat und nicht entsprechend lebt, ist man nicht glücklich. Es ist nicht meine Aufgabe, anderen ihre Werte vorzuschreiben, aberihre Werte und ihr Verhalten müssen stimmig sein, wenn sie Freude am Leben haben wollen. Das erwähne ich oft.
Ich habe einige Entscheidungen aufgrund von Angst getroffen, aber wir müssen Entscheidungen aufgrund von Glauben treffen. Ich habe einige Entscheidungen aufgrund von Furcht gemacht und ermuntere Menschen, Entscheidungen aufgrund von Glauben zu machen. Ich würde auch sagen: „Fokussiert Euch nicht auf mögliche Auswirkungen; fokussiert Euch auf Euren Glauben.“ Denn ich dachte, ich müsste heiraten, um glücklich zu sein. Ich dachte, ich müsste eine Familie haben, um glücklich zu sein. Ich dachte, ich müsste X, Y, und Z tun, um im Leben glücklich zu sein. Fokussiert Euch nicht auf mögliche Auswirkungen. Wenn man mir vor zehn Jahren gesagt hätte, dass ich mein Leben so leben würde, wie ich es jetzt tue, hätte ich sie für verrückt gehalten.
Und Gott kann so viel mehr sehen als wir. Ich möchte zwei Schriftstellen mit ihnen teilen. Eine ist 1. Korinther 2:9, wo etwa Folgendes steht: „ Kein Auge hat gesehen und kein Ohr hat gehört und in keines Menschen Herz ist gedrungen, was Gott denen bereitet hat, die ihn lieben.“ Und Lehre und Bündnisse 58:3 sagt: „Mit euren natürlichen Augen könnt ihr zur gegenwärtigen Zeit die Absicht eures Gottes in Bezug auf das, was später noch geschehen wird, nicht sehen, auch nicht die Herrlichkeit, die nach viel Drangsal folgen wird.“
Ich habe versucht, mir mein Leben vorzustellen, und musste feststellen, dass ich das nicht kann. Ich weiß nicht, wie es aussehen wird, wenn ich 45 oder 55 oder 65 oder 75 sein werde oder wie lange ich auch leben werde. Ich weiß aber, wenn ich mich darauf konzentriere, mit dem Himmel verbunden zu bleiben und Inspiration zu empfangen, dann wird mein Leben wundervoll sein.
Glaube ist nicht blind: Ja, das ist eine interessante Unterscheidung zwischen Glauben und möglichen Auswirkungen, das ist nicht das Gleiche. Dann wird es letzten Endes irgendwie wieder zu Ihren Erfahrungen als Heranwachsender führen—dem Gefühl, ich will mich nicht so fühlen, ich will das nicht, wenn ich aber das Rechte tue, werde ich das rechte Ergebnis erlangen.
Mir scheint, worüber Sie jetzt sprechen, ist, dass das Ergebnis schon bedeutsam ist, aber darauf bin ich nicht fokussiert. Ich bin auf die Beziehung zu Gott fokussiert und möchte sicherstellen, dass all das stimmt—das ist sehr schön. Das ist ein guter Rat für diejenigen, die durch diese Erfahrung gehen. Was raten Sie den Eltern, Geschwistern und Freunden von Heiligen der Letzten Tage, die sich zum gleichen Geschlecht hingezogen fühlen?
Ben: Ich könnte viele Ratschläge geben. Die Hauptsache, die ich raten würde ist, „nahe dran“ zu bleiben. Diese Idee habe ich von Bryan Stevenson, der ein tolles Buch geschrieben hat. Er spricht davon, Menschen nahe zu sein, die anders sind. Wir müssen Menschen nahe kommen, die andersartige Erfahrungen machen. Wenn es also ein homosexuelles Familienmitglied in Ihrem Leben gibt, müssen Sie sich dieser Erfahrung stellen und nahe bei ihnen sein und mit ihnen über solche Erfahrungen sprechen.
Wenn Sie jemanden haben, den Sie lieben und der homosexuell ist, dann sprechen Sie mit ihm oder ihr ohne Überheblichkeit und fragen Sie: „Wie ist es für dich, sich zum gleichen Geschlecht hingezogen zu fühlen? Wie ist es, homosexuell, lesbisch oder bisexuell zu sein?“ Fragen Sie auch: „Wie kann ich dir helfen?“ Ich würde fragen: „Du benutzt die Begriffe gleichgeschlechtliche Anziehung oder schwul, lesbisch, bisexuell. Was bedeuten dir diese Begriffe?“ Ich würde fragen: „Gibt es irgendetwas, worüber du mehr reden möchtest?“
Als ich mich das erste Mal geoutet habe, gab es so viele Dinge, die ich seit 23 Jahren verschwiegen hatte, und ich wollte nicht immer wieder eine peinliche Situation schaffen, wenn ich auf so etwas zu sprechen kam. Ich war dankbar, wenn Menschen etwa Folgendes sagten: „Danke für das, was du mir letzte Woche erzählt hast. Was wolltest du noch sagen, was du noch nicht ansprechen konntest?“ Wenn jemand so das Gespräch eröffnete, half mir das zu heilen, da nicht ich das Gespräch jedes Mal beginnen musste.
Glaube ist nicht blind: Nach Ihrer Beschreibung hört es sich so an, als sei die Isolierung eines Ihrer stärksten Gefühle gewesen. Und Sie hatten vorher auch Scham erwähnt.
Ben: Ganz sicher. Das stimmt.
Glaube ist nicht blind: Sie erwähnten schon das Gefühl der Isolierung und das Gefühl der Scham, als Sie sich nicht sicher waren, wie Ihre Mitbewohner darauf reagieren würden. Wo es darum ging, dass Sie Ihrem Mitbewohner gesagt hatten: „Wenn du nicht mehr mit mir zusammen wohnen willst.“ Und dann jemanden zu haben, der bereit ist zuzuhören. Ich glaube, dass es gut ist, dass wir alle uns dessen bewusst sind. Mir gefällt die Idee der Nähe. Die ist bei allen Beziehungen mit Menschen wichtig, besonders aber bei denen, die sich isoliert fühlen.
Ben: Präsident Ballard sagte in einem BYU-Devotional im November 2017, dass wir zuhören und verstehen müssen, welche Gefühle unsere LGBT Brüder und Schwestern haben, was sie erleben. Und wir sind beim Zuhören und Verstehen besser geworden. Es gab Zeiten, wo ich Menschen begegnet bin, die sich entschlossen, mir zu predigen und mir etwas zu erklären. Natürlich geschieht das immer mit guten Absichten. Aber ich denke ja schon mein ganzes Leben lang an dieses Thema, und fast jedes Mal klingen (ihre Erklärungen) für mich fade und leer. Die Menschen, jedoch, die sich wirklich zu mir setzen und mir dann Fragen stellen, mit denen habe ich die heiligsten Erfahrungen erlebt.
Glaube ist nicht blind: Für Familienmitglieder und junge Heilige der Letzten Tage, die mit gleichgeschlechtlicher Anziehung kämpfen oder für Priestertumsführer und andere in der Gemeindeleitung—vielleicht die Leitung der Jungen Männer oder Jungen Damen—was möchten Sie denen sagen, wie sie in ihrer Aufgabe und ihrem Dienst in der Kirche helfen können?
Ben: Junge Menschen sind heute an diesem Thema sehr interessiert. Sie haben homosexuelle Freunde in der Schule oder transgender Freunde und möchten wissen, wie das mit dem Evangelium zu vereinbaren ist. Wenn wir also in der Kirche über LGBT-Themen sprechen könnten, wäre das wundervoll. Natürlich müssen wir nicht sagen: „Heute ist LGBT-Tag.“ Ich glaube nicht, dass es so ablaufen muss. Elder Holland hat in einer Generalkonferenzansprache ein so gutes Beispiel gegeben—ich glaube 2015—er hat über Mütter gesprochen und dabei über einen homosexuellen Sohn, der von Mission zurückkam. Und er sagte: „Und er hat sich nicht geändert und keiner hat das von ihm erwartet.“
Wir können auf natürliche Weise über LGBT-Themen sprechen und das Teil unserer normalen Unterhaltung werden lassen. Jedes Mal, wenn ich Gespräche über LGBT höre, wird es meistens im Zusammenhang mit Sünde besprochen.
Elder Ballard hat gesagt, das sei keine Entscheidung—es sei eine komplexe Realität. Als Kirche sollten wir mehr Liebe und Mitgefühl zeigen. Wenn wir also über diese Grundsätze öfter in der Kirche sprechen würden, würde das meiner Meinung nach viel Gutes bewirken.
Und ein Ansatz, den ich Priestertumsführern, die über dieses Thema sprechen, empfehlen würde, ist, es im Zusammenhang mit dem Gleichnis vom barmherzigen Samariter zu tun. Denn dieses Gleichnis war die Antwort auf zwei Fragen. Zunächst wurde Jesus von einem Rechtsgelehrten gefragt: „Wie erlangt man ewiges Leben?“ Und er antwortete: „Man liebt Gott und liebt seinen Nächsten.“ Und dann sagte er: „Wer ist dein Nächster?“ Und als Antwort auf diese Frage lehrt er das Gleichnis vom barmherzigen Samariter. Und wer war der barmherzige Samariter? Der Samariter war jemand, den er gehasst hätte. Er war ein Abgefallener, der in der Gesellschaft nicht willkommen war, und ausgerechnet diesen nahm er als Beispiel für jemanden, der in den Himmel gelangen würde. Ich glaube, das ist sehr bemerkenswert. Ich glaube, dass wir viel richten, und ich denke, dass wir besser daran täten, Menschen, die sich anders entscheiden als wir, nicht zu richten.
Die meisten meiner LGBT-Freunde, die Mitglieder unserer Kirche waren, sind nicht mehr aktiv dabei und ich wünschte, jeder würde bleiben, aber das ist ihre Entscheidung. Ich muss ihre Entscheidungsfreiheit anerkennen. Was können wir also tun, um die zu lieben, die weggegangen sind, und wie schließen wir sie in den Kreis unserer Liebe ein, auch wenn sie einen anderen Weg wählen als den, für den wir uns entschieden haben?
Glaube ist nicht blind: Vielleicht haben Sie das erlebt, aber ich zucke in bestimmten Situationen zusammen, wo—egal ob es um Homosexualität geht oder anderes—Menschen über andere reden, die anders sind als sie, weil sie meinen, in einem Raum zu sein, wo alle so sind wie sie. Und diese Vermutung kann wehtun und isolieren.
Wenn jemand eine Bemerkung über Homosexuelle macht oder andere und nicht daran denkt, dass diese mit im Raum sein könnten. Ich glaube, sie sollten daran denken, dass man gute Gespräche mit solchen Menschen haben kann. Mir gefällt die Idee, natürlich zu sein. Und dann müssen wir auch daran denken: „Wie würde sich das anfühlen, wenn jemand hier im Raum damit zu tun hat oder kämpft oder Fragen hat und sich isoliert fühlt—wie können wir so jemandem helfen?“ Das ist immer eine gute Einstellung, aber besonders hier, wenn das jemanden ausgrenzt.
Sie haben auch über die Weggabelung gesprochen und was für eine schwierige Situation das ist. Ich glaube, dass unsere Gesellschaft und unsere Religion sich jenen hilfsbereiter und sensibler zuwenden sollte. So könnte man helfen, anstatt Steine in den Weg zu legen.
Ben: Einen Rat möchte ich gerne noch geben. Die Kirchenwebsite hat einen Bereich „Hoffnung und Hilfe“ und darin gibt es eine Sparte „Gleichgeschlechtliche Neigungen“. Diese ist besonders für Führer in der Kirche gedacht. (Heute aber allgemein zugänglich:
https://www.churchofjesuschrist.org/topics/families-and-individuals/lifes-challenges/hope-and-help?lang=deu; Anm.d.Übers.)
Sie gibt Ratschläge, wie man sich verhält und jemandem hilft, der sich outet. Ein Rat ist, „sie zu ermutigen, nach eigener Inspiration zu trachten, wie sie ihr Leben gestalten können“. Das ist das Wichtigste, was wir irgendein Mitglied lehren können, das nach Inspiration vom Heiligen Geist trachtet.
Als ich das tat und herauszufinden begann, was Gott für mich wollte, hat mein Verhalten sich nicht geändert. Ich war immer schon aktiv in der Kirche gewesen und blieb es auch. Mein Verhalten hat sich nicht geändert, aber der Grund für mein Verhalten änderte sich und das veränderte die Welt für mich.
Glaube ist nicht blind: Das ist sehr bemerkenswert. Vielen Dank für Ihre Bereitschaft, Ihre Erfahrung und Ihren Rat mit uns zu teilen. Das war sehr, sehr hilfreich.
Ben: Ich danke Ihnen.